Interview mit Charis Braun und Evelyn Juister (HNEE)
Die Bundespolitik hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil des Ökolandbaus bis 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Um dieses zu erreichen, ist der Aufbau von Wertschöpfungsketten in aller Munde. So genannte Wertschöpfungskettenentwickler:innen sollen es richten: Netzwerke aufbauen, Marktzugänge schaffen und Unternehmensgründungen unterstützen. Das Berufsprofil ist noch jung und oftmals undefiniert. Was die oft sehr engagierten Akteure vor vielschichtige Herausforderungen stellt. Die HNEE beschäftigt sich mit dem Aufbau von Wertschöpfungsketten auf vielseitige Weise – auch mit dem Blick auf die Menschen, die den Entwicklungsprozess begleiten und hat vom 8. bis 10. März 2022 die Aktionstage „Wirksam in Wertschöpfungsketten“ in Lunow-Stolzenhagen organisiert. Jennifer Brandt von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau e.V. (FÖL) hat mit Charis Braun und Evelyn Juister über die Ziele und Erkenntnisse der Aktionstage gesprochen.
Liebe Evelyn, liebe Charis, erzählt doch bitte, warum habt ihr die Aktionstage „Wirksam in Wertschöpfungsketten“ veranstaltet?
Charis Braun (CB): Seit fünf Jahren unterstützen und erforschen wir im EIP-Projekt „Regionales Bio-Gemüse aus Brandenburg“ den Aufbau von Wertschöpfungsketten und haben dabei erfahren, wie essentiell es ist, die Unternehmen der Wertschöpfungskette in ihren Veränderungsprozessen zu unterstützen. Die Idee zu den Aktionstagen entstand aus dem Wissen, dass es einen Bedarf nach Austausch und Professionalisierung dieses Arbeitsfelds gibt. Das Thema der Wertschöpfungskettenentwicklung ist in der Bio-Branche in Deutschland gerade so groß, dass wir von verschiedenen Seiten immer wieder die Frage hören: „Wie funktioniert das eigentlich“? Da fanden wir, es ist an der Zeit, dem Thema einen Raum zu geben und auch bundesweit dazu einzuladen.
Wen adressierte die Veranstaltung?
Evelyn Juister (EJ): Die Veranstaltung richtete sich an Personen, die Wertschöpfungsketten aufbauen, sogenannte Wertschöpfungskettenentwickler:innen. Das sind zum Beispiel Personen, die in diesem Themenfeld beratend in den Öko-Landbauverbänden tätig sind. Die Stellen nennen sich in manchen Regionen Hersteller- oder Handelsberatung, Wertschöpfungskettenmanger:in oder Regionalreferent:in. Es gibt keine einheitliche Begrifflichkeit. Die Aktionstage richteten sich auch an Mitarbeiter:innen in den neu geschaffenen Öko-Modellregionen, die es in einigen Bundesländern gibt.
Was war das wichtigste, was ihr an Impulsen setzen wolltet?
EJ: Wir wollten zunächst den Blick auf das System „Wertschöpfungskette“ richten und voneinander lernen: Wo seid ihr tätig? In welchem System bewegt ihr euch? Wo liegen die Herausforderungen? Es war uns wichtig, voneinander zu hören. Dabei haben wir erlebt, dass oftmals ähnliche Herausforderungen bestehen und Erfahrungen gemacht werden.
CB: Es ging auch darum, zu reflektieren: Was ist meine Rolle als Wertschöpfungskettenentwickler:in und was bringe ich mit, um die Aufgaben zu meistern? Außerdem wollten wir dafür sensibilisieren, dass es in den Wertschöpfungsketten ganz viel um die Menschen geht. Natürlich gibt es technische, logistische oder Marktfragen. Aber wenn man fragt, „Wie kriegt man die Karotte vom Acker auf den Teller?“, muss klar sein, dahinter stehen immer Unternehmer:innen mit unterschiedlichen Interessen und hier gilt es, gemeinsam einen Weg zu finden.
Es ging in den Aktionstagen viel um Selbstreflexion. Warum habt ihr das so konzipiert?
CB: Die Aktionstage waren als Lernraum konzipiert, in dem alle Teilnehmer:innen die Möglichkeit hatten ihre Erfahrungen zu teilen und daraus zu lernen. Es gab keine klassischen Vorträge oder Inputs. Stattdessen gab es Übungen, in denen sich die Teilnehmer:innen mit sozialen Prozessen befassen konnten. Nach jeder Übung gab es Zeit für Reflexion in der Gruppe, um die gemachten Erkenntnisse in den Kontext der Wertschöpfungskettenentwicklung einzuordnen. Auch individuelle Reflexionszeit war eingeplant. Anhand von konkreten Fragen hatten die Teilnehmer:innen die Möglichkeit, über ihr eigene Arbeit nachzudenken. Auch beim Yoga oder im Social Presencing Theater konnte man seine individuelle Wahrnehmung schärfen.
EJ: Um Projektmanagement, Moderation oder Ähnliches zu lernen, gibt es viele Angebote. Aber es geht beim Aufbau von Wertschöpfungsketten auch darum, zu spüren, was es braucht, um Menschen mitzunehmen und Entscheidung zu begleiten. Wir haben in unserer Arbeit erlebt, dass ein schrittweises Vorgehen immer auch den Raum für Reflexion braucht, um festzustellen, wie es weitergeht. Vor diesem Hintergrund schien es uns sinnvoll, mit alternativen Methoden den Raum für Reflexion zu bieten und Themen anders sichtbar zu machen.
Woran scheitern Wertschöpfungskettenentwickler:innen?
EJ: Oft lastet ein hoher Erwartungsdruck auf ihnen. Die politische Vorgabe, dass der Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten vorangebracht werden soll, bekommt mit den Wertschöpfungskettenentwickler:innen ein konkretes Gesicht. Was es aber an Strukturen darum herum braucht, damit Transformation gelingen kann, ist viel größer und kann von einer Person allein vielleicht gar nicht geleistet werden. Die Gefahr ist, dass sie an der Größe und der Undefiniertheit der Aufgabe scheitern.
CB: Bei den Aktionstagen haben wir unter anderem den Ansatz des Soziodramas kennengelernt – eine Art Rollenspiel. Die Teilnehmer:innen waren Landwirt:innen, Verarbeiter:innen, Händerler:innen und Konument:innen. Und es ging darum, eine verbindliche Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette zu schaffen. Es kamen aber so viele unterschiedlichen Perspektiven zusammen, dass dieses System, sich zuerst überhaupt nicht bewegen wollte. Es brauchte jemanden von außen, der dafür sorgte, dass die Akteure ins Gespräch kommen und sagen konnten, was ihre Anforderungen und Erwartungen sind. Nur so konnte ein Verhandlungsspielraum entstehen und dieses Konstrukt bewegt werden.
Welche Erfahrungen und Kompetenzen muss eine Person mitbringen, die Wertschöpfungsketten entwickeln will? Das scheint oft unklar zu sein, weil das Profil so neu ist.
EJ: Die Stellen werden häufig mit Berufseinsteiger:innen besetzt, mit einem agrarischen oder ernährungswissenschaftlichen Hintergrund. Es ist gut und wichtig, diesen „Branchengeruch“ zu haben, aber es braucht auch den Umgang mit sozialen Prozessen. Ich persönlich empfinde es auch als extrem wertvoll, nicht alleine, sondern mindestens zu zweit zu arbeiten. Besonders dann, wenn man mit einer großen Gruppe unterwegs ist, weil jeder einen anderen Blick auf eine Situation hat und man sich gut in seine Wahrnehmungen ergänzen kann.
CB: In der Wertschöpfungskettenentwicklung braucht es individuelle Entscheidungen in jedem einzelnen Unternehmen und gleichzeitig muss ich die strategische Ausrichtung der Kette im Blick behalten – das ist eine besondere Herausforderung. Wertschöpfungskettenentwickler:innen haben die Verantwortung, die Gruppe darin zu unterstützen, einen Weg zwischen praktischen Problemen und inspirierender Zukunftsidee zu gestalten. Es wurde immer wieder sichtbar, dass es hier noch einen großen Wissensbedarf gibt und die Ausbildung in den agrar- und ernährungswissenschaftlichen Studiengängen hinterherhinkt.
Was wäre für die Stellen wichtig, vor dem Hintergrund dessen, was ihr auf den Aktionstagen erfahren habt?
EJ: Den Institutionen, die diese Personen beschäftigen, möchte ich gerne mitgeben, dass sie Weiterbildungsmöglichkeiten in der Prozessgestaltung bieten. Oder, dass in Stellenausschreibungen und Auswahlgesprächen darauf geachtet wird, dass diese sozialen Kompetenzen vorhanden sind. Dafür müssten die Institutionen vielleicht selbst eine Sensibilisierung durchlaufen.
EJ: Teilweise werden Wertschöpfungskettenentwickler:innen daran gemessen, wie viele Ketten sie aufgestellt haben. Es sollen schnell Erfolge nach außen kommuniziert werden. Es wäre hier wichtig, miteinander auszuhandeln, woran Erfolg zu messen ist. Ist es nicht vielleicht auch ein Erfolg, dass sich eine Unternehmensgründung nicht geklappt hat, aber alle Akteure gut durchdachte Entscheidungen getroffen haben, warum sie es nicht getan haben? Das ist nach außen natürlich schwer zu verkaufen.
CB: Mit den Aktionstagen haben wir dem Thema Entwicklung von Wertschöpfungsketten eine Plattform geboten. Wir hoffen, dass die Diskussion über die Arbeit in Wertschöpfungsketten in der Bio-Branche weitergeht. Denn diese Personen sind unglaublich wichtig für die Weiterentwicklung der Branche und die nachhaltige Gestaltung der Landwirtschaft insgesamt. Dazu gehört ein klares Berufsbild und die Wertschätzung dieser wichtigen Arbeit.
Projektinfo:
Die Veranstaltung „Wirksam in Wertschöpfungsketten“ wurde vom Fachgebiet Politik und Märkte der Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde zusammen mit dem EIP-Projekt „Regionales Bio-Gemüse aus Brandenburg“ veranstaltet. Die Aktionstage wurden methodisch unterstützt und begleitet von Jörg Jelden und Sabine Koppe (www.komfortzonen.de). Weiter Infos zu den Aktionstagen: https://aktionstage.org/